Als-Ob
für Klarinette in B, Violine, Violoncello und präpariertes Klavier zu zwei Spielern (2005)
Uraufführung: 20.01.2013, Folkwang Universität Essen im Rahmen der Ausstellungseröffnung »Da war auch Kunst in Theresienstadt…«
Partitur und Stimmenauszüge können direkt über Christian Börsing bezogen werden → Kontakt
Werkkommentar zu »Als-Ob«
Das Werk befasst sich thematisch-programmatisch mit dem Alltagsleben der Häftlinge des Konzentrationslagers Theresienstadt, welches auf eindrucksvolle und sarkastische Weise in dem Gedicht „Als-Ob“ beschrieben wird, das mir als literarische Vorlage für die Komposition diente. In jenem „Prominenten-Arbeitslager“ der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden zwischen 1942 und 1945 insgesamt über 141.000 Menschen gefangen gehalten, von denen nur ca. 19.000 überlebten. Unter den Häftlingen befanden sich u.a. so bedeutende Musiker und Komponisten wie Gideon Klein, Viktor Ullmann, Pavel Haas und Hans Krása. Das Ausleben künstlerischer Aktivitäten wurde von der SS zunächst verboten, dann geduldet und schließlich sogar gefordert. Man erkannte den „Propaganda-Wert“ dieses Lagers und konnte es der internationalen Öffentlichkeit als kulturell äußerst potente „jüdische Mustersiedlung“ präsentieren. Hieraus ergeben sich auch Berührungspunkte mit dem Motto „Das Eigene und das Fremde“: Die Häftlinge des Konzentrationslagers Theresienstadt konnten zwar ihr „Eigenes“, ihre kulturelle Identität (diese war überwiegend eine Mixtur aus jüdischen, tschechischen und deutschen Einflüssen) ausüben und pflegen, jedoch wurde dies von dem „Fremden“, der Gewaltherrschaft der SS, in degradierender Weise überschattet und durch die menschenverachtenden Lebensumstände im Ghetto in Frage gestellt. Die Häftlinge wurden regelrecht ausgehungert und zu hunderten zusammengepfercht. Die hygienischen Gegebenheiten waren katastrophal – Krankheiten wie Typhus breiteten sich aus. Jene Menschen, die vom Tod im Lager verschont blieben, lebten weiter in ständiger Angst vor den drohenden Abtransporten nach Auschwitz.
Fast das gesamte Tonmaterial von Als-Ob wurde aus dem Tonvorrat von Hans Krásas Kinderoper Brundibár generiert (das Werk wurde in Theresienstadt über 55 mal aufgeführt). Dabei verzichtete ich allerdings bewusst auf die Übernahme von Themen, Motiven oder Rhythmen im Sinne musikalischer Zitate. Vielmehr bilden die verschiedenen Tonvorräte der Opernthemen (sowie deren „Negativ-Reste“ des chromatischen Totals) eine Grundlage für die unterschiedlichsten Formen von Tonfolgen-Permutationen (Listen) in der Materialdisposition von Als-Ob. Die kulturelle Identität des „fremden Materials“ scheint auch in seiner transformierten Form weiterhin durch: In den so gewonnen Listen verbergen sich die in Brundibár verwendeten Skalen und Modi der jüdisch-osteuropäischen Volksmusik. Diese Listen dienten u.a. als Input für algorithmische Prozesse, die eine weitere Materialebene des Stückes bilden und die zudem als Strukturgenerator fungieren. Hieraus ergibt sich ein weiterer Anknüpfungspunkt mit dem „Eigenen und Fremden“: Das Fremde, in diesem Fall der Tonvorrat aus Hans Krásas Brundibár, wird durch seine kompositorische Transformation zum „eigenen“ Material des Komponisten, bzw. bildet die Grundlage für eine eigenständige, immanente Komposition. So entsteht hintergründig eine Wechselbeziehung zwischen zwei kulturellen Identitäten, die sich zeitlich, örtlich und ästhetisch voneinander unterscheiden: meine eigene und jene fremde, die Hans Krasás Brundibár und das Leben im Theresienstädter Ghetto impliziert.
Eine weitere Materialebene bilden Kombinationen der Intervallfolge 949 (die Nummer der Transporttafel Hans Krásas als er von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurde), die sich durch die Differenzierung der Intervalle in klein, groß, rein und vermindert unterscheiden. Klanglich habe ich versucht, Auren zu schaffen, die Ausdruck, Inhalt und Gehalt des Gedichtes „Als-Ob“ als programmatische Klangbilder aufnehmen. Hierzu gehört die Präparierung des Klaviers mit Oropax und Aluminiumstange, bzw. die Spieltechniken mit Schlägel und Plektrum. So assoziiere ich beispielsweise (und nur bei Bedarf) durch das gespenstisch wirkende Schlägelglissando in den ersten Takten der Einleitung eine „Zoom-Fahrt“ auf die „Geisterstadt“ Theresienstadt, während die Akkord-Cluster mit dem metallisch-rasselndem Klang der Aluminiumstange sinnbildlich für die harte und schmerzvolle Realität hinter dem Vorhang des vermeintlich arglosen Kunstschaffens in Theresienstadt stehen.
Christian Börsing
Die Stadt Als-ob…
Ich kenn ein kleines Städtchen
Ein Städtchen ganz tiptop,
Ich nenn es nicht beim Namen,
Ich nenns die Stadt Als-ob.
Nicht alle Leute dürfen
In diese Stadt hinein,
Es müssen Auserwählte
Der Als-ob-Rasse sein.
Die leben dort ihr Leben,
Als obs ein Leben wär,
Und freun sich mit Gerüchten,
Als obs die Wahrheit wär.
Die Menschen auf den Straßen,
Die laufen im Galopp –
Wenn man auch nichts zu tun hat,
Tut man doch so als ob.
Es gibt auch ein Kaffeehaus
Gleich dem Café de l’Europe,
Und bei Musikbegleitung,
Fühlt man sich dort als ob.
Und mancher ist mit manchem
Auch manchmal ziemlich grob –
Daheim war er kein Großer,
Hier macht er so als ob.
Des Morgens und des Abends
Trinkt man Als-ob-Kaffee,
Am Samstag, ja am Samstag,
Da gibts Als-ob-Haché.
Man stellt sich an um Suppe,
Als ob da etwas drin,
Und man genießt die Dorsche
Als Als-ob-Vitamin.
Man legt sich auf den Boden,
Als ob das wär ein Bett,
Und denkt an seine Lieben,
Als ob man Nachricht hätt.
Man trägt das schwere Schicksal,
Als ob es nicht so schwer,
Und spricht von schönrer Zukunft,
Als obs schon morgen wär.
Leo Strauß